Donnerstag, 8. Dezember 2016

Zum Gedenken an Georg Züter

Heute habe ich erfahren, dass Georg Züter im Alter von 74 Jahren in Italien verstorben ist. Obwohl ich den Mann nie persönlich kennengelernt habe, macht mich die Nachricht traurig. Diejenigen, die meine Mittelmeerreise Anfang 2014 in meinem Blog und in den GN verfolgt haben, werden sich vielleicht an Stromboli erinnern. Ich wollte dort Georg Züter besuchen, der die meiste Zeit seines Lebens auf der Vulkaninsel verbracht hat. In dem kleinen Ort Ginostra war der gebürtige Grafschafter als Maler, Handwerker und einfach als Freund hoch angesehen. Doch Georg Züter war zu der Zeit meines Besuches auf dem Festland in Bologna, sodass ich nur mit ihm telefonieren konnte. 

Foto: privat


Hier ist noch einmal die Reportage, die damals in den Grafschafter Nachrichten zu lesen war. (Weitere Informationen und Bilder gibt es in meinem Blog vom 15. bis 21. März 2014.)

Giorgio sorgt bei Italienern für ein Lächeln

Der Grafschafter Georg Züter genießt auf der italienischen Vulkaninsel Stromboli große Anerkennung. GN-Autor Gerold Meppelink hat während seiner Mittelmeerreise dort Station gemacht. Das Gespräch mit Züter musste er jedoch übers Telefon führen. 

Ginostra. Ich bin einige Wochen zu früh. Am 15. März komme ich in Ginostra an, um den ehemaligen Grafschafter Georg Züter aufzusuchen. Der kleine Ort liegt auf der Vulkaninsel Stromboli, rund 75 Kilometer nordöstlich von Sizilien. Georg Züter ist aber noch auf dem Festland im norditalienischen Bologna, der Heimatstadt seiner italienischen Lebensgefährtin Daniela. Erst Mitte April wollen beide nach Ginostra zurückkehren.
Am Telefon erzählt mir Georg Züter seine Lebensgeschichte. 1942, während des Zweiten Weltkrieges in Schüttorf geboren, wächst er mit seiner Mutter und zwei Brüdern in Emlichheim auf, dem Heimatort seiner Mutter Johanna, einer geborenen Schoemaker. Seinen Vater hat Georg Züter nicht kennengelernt. Er ist als Soldat in Russland gefallen.
In Emlichheim wohnen sie im Pfarrhaus der altreformierten Kirche, wo Johanna Züter Küsterdienste leistet. 1952 gehen sie zurück nach Schüttorf. Dort fängt Georg Züter nach der mittleren Reife bei der Druckerei Kröner eine Lehre als Schriftsetzer anfängt. Nach erfolgreichem Abschluss bewirbt er sich an der Dortmunder Kunsthochschule, um seinen Traum zu verwirklichen. „Ich wollte immer Maler werden“, sagt er. Mit dem Begriff „Künstler“ kann er nichts anfangen: „Ich weiß nicht, was das ist.“ Ohne Abitur muss er eine Aufnahmeprüfung machen und einen artverwandten Beruf nachweisen. Seine Schriftsetzerausbildung kommt ihm dabei zugute.
Später wechselt Georg Züter an die Berliner „Akademie der Künste“. Er bekommt ein Stipendium vom Deutschen Akademischen Auslandsdienst und geht nach Neapel, das er Rom vorzieht. „Dort waren zu viele meiner Kumpel, dann lernt man die Sprache nicht“, sagt Georg Züter. 1968 ist er zum ersten Mal auf Stromboli, und nach dem Stipendium zieht er ganz dorthin, und zwar in den 30-Einwohner-Ort Ginostra. Dort liebt er die Stille und das Licht, das ein Maler braucht.
Auf der Insel malt er aber nicht nur, sondern macht alles. „Ich war Lastenträger, Maurer, Tischler, habe sogar die Verstorbenen beerdigt“, erzählt er. Irgendwann macht der Rücken nicht mehr mit. Heute bekommt der 72-Jährige eine Rente und pendelt zwischen Berlin, Ginostra und Bologna. Seine „konstruktiv-abstrakten Bilder“ hat Georg Züter in vielen Ausstellungen in Europa und in den USA gezeigt. Auch in Jade bei Wilhelmshaven waren sie 2007 zu sehen.
Auf Ginostra mache ich mich auf Spurensuche und befrage Einwohner des Ortes. Karola Hoffmann, deutsche Vermieterin meiner Unterkunft, hilft beim Übersetzen. Überall mache ich die gleiche Erfahrung: Fällt der Name Giorgio Zuter, wie die Italiener sagen, geht ein Lächeln über ihr Gesicht, und die Leute fangen an zu erzählen. Sie kennen weniger den Künstler, sondern vielmehr den ausgezeichneten, präzisen Handwerker, der auf alle Probleme eine Lösung weiß.
Legendär im Ort ist die Geschichte mit den Mühlsteinen. Georg Züter kann eine stillgelegte Ölmühle mit drei tonnenschweren Mühlsteinen übernehmen. Doch wie die Steine zum Haus befördern, das oben am Hang liegt? Der Schwerste wiegt fast zwei Tonnen. Mit einem System aus Schlitten und Hebelzügen schafft es der Tüftler, ihn vorwärts zu bewegen, Zentimeter für Zentimeter. Es dauert einen ganzen Winter, bis alle Mühlsteine im Garten angekommen sind. Dort liegen sie noch heute unter Olivenbäumen, denn die Rückenprobleme haben es nicht mehr erlaubt, die Ölmühle aufzubauen.
Immaculata Basile ist die Wirtin des Restaurants L’Incontro (Treffpunkt). Als der Herd von der Wand in die Mitte der Küche versetzt wurde, musste der Rauchabzug geschlossen werden. Die Maurer des Ortes trauten sich nicht so recht an die Sache ran. Die Wirtin fragte den Deutschen. „Giorgio hat lange nachgedacht und schließlich eine Lösung gefunden“, sagt sie. Georg Züter hat viel für sie gemacht: Türen umgebaut, Stühle repariert. „Giorgio fehlt einfach im Ort“, sagt sie mit einem Ausdruck des Bedauerns.
„Giorgio ist wie ein Schutzengel“, sagt gar Ciccone Michele mit feuchten Augen. Der 74-Jährige, der fünf Jahre lang Amtsarzt auf Ginostra war, nennt Georg Züter einen „Gran Signore“, einen „sehr höflichen und sensiblen Menschen mit einem unglaublichen Respekt vor den Menschen“. Ciccone Michele kennt auch die Kunstwerke von Georg Züter. Er mag „die abstrakten Bilder mit den präzisen geometrischen Formen“.
Mario Lo Schiavo ist wie Georg Züter 72 Jahre alt. Als die Mole noch nicht gebaut war, haben beide mit dem Boot die Menschen vom Schiff ans Ufer gebracht. „Andere waren dazu nicht bereit. Giorgio hat es gemacht, und zwar hervorragend. Nicht aus Geldgründen, sondern weil er dem Ort helfen wollte“, betont Mario Lo Schiavo. Auch Pasquale Giuffrè, Besitzer eines Lebensmittelladens, sagt, dass „Giorgio immer geholfen hat, selber aber nie um Hilfe gebeten hat“. Mario Lo Schiavo ist sich sicher, dass „Giorgios Herz an dem Ort hängt“, auch wenn er nicht mehr die ganze Zeit hier lebt.
In der Nachbarschaft von Georg Züter besitzen auch einige Deutsche ein Haus. Elke aus München erinnert sich, dass „Georg mit unglaublicher Geduld einen ganzen Winter lang einen Tisch aus Olivenholz gebaut hat. Einfach ein Gesamtkunstwerk“. Die Münchnerin bringt es auf den Punkt: „Ich habe noch nie einen Menschen erlebt, der mehr bei sich ist als Georg.“

 

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