Die Aula im
Emlichheimer Schulzentrum ist bis auf den letzten Stuhl besetzt. Über
300 Besucher sind gekommen, um die Geschichte der Erna de Vries zu
hören, unter ihnen viele junge Leute. Die fast 94-jährige sitzt auf
der Bühne und erzählt ihr Leben. Es ist eine Geschichte kaum
vorstellbarer Grausamkeiten. Mit
klarer Sprache und ohne Redevorlage erzählt die Lathenerin, was in
der Nazizeit passiert ist. Sie sagt, es ist ihre Pflicht,
„damit so etwas in der Zukunft nie wieder geschieht.“ Die
Halbjüdin wächst mit ihrer jüdischen Mutter in Kaiserslautern auf,
erlebt die Reichspogromnacht 1938, muss mit anschauen, wie die Nazis
die Synagoge sprengen, jüdische Geschäfte plündern und ihre
Wohnung zerstören. 1943 wird die 15-jährige ins Vernichtungslager
Auschwitz-Birkenau deportiert; zusammen mit ihrer Mutter, an deren
Seite sie bleiben will. Erna de Vries schildert das grausame Leben im
Todesblock 25, beschreibt die unmenschliche Arbeit, den Hunger, die
Ungeziefer, ihre eitrigen Entzündungen, die Berge von Leichen und
die Krematorien, in denen Menschen verbrannt werden. Dann trifft sie
ihre Mutter ein letztes Mal. Diese gibt ihr ein Vermächtnis mit auf
den Weg: „Du wirst überleben und erzählen, was sie mit uns
machen.“ Erna de Vries wird ins KZ Ravensbrück verlegt und
arbeitet dort für Siemens. Im November 43 erreicht sie die Nachricht
vom Tod ihrer Mutter. Auf welche Weise sie ums Leben gekommen ist,
erfährt die Tochter nicht. Kurz vor Kriegsende macht Erna de Vries
die Todesmärsche mit. Nach acht Tagen kommt den völlig Entkräfteten
ein amerikanischer Jeep entgegen. „Wir waren plötzlich frei!“
Mit diesen Worten endet der Vortrag. Die Zuhörer stehen auf und
zollen ihr Respekt mit lang anhaltendem Beifall. Sie haben noch
Fragen. Freundlich und mit offenem Blick gibt Erna de Vries ihre Antworten: Sie sei nicht ausgewandert, weil sie ihren Mann im Lager
kennengelernt habe. Und der sei eben „ein echter Emsländer“.
Die Zeit in Auschwitz habe sie nur überleben können, weil sie
angefangen habe, „tief und fest zu glauben.“ Ja, sie halte es für möglich, dass der Antisemitismus wieder erstarke. Aber
sie hoffe, „dass es genug Menschen gibt, die so etwas verhindern.“
Nach Ende der Veranstaltung kommen einige, meist junge Besucher zu
ihr auf die Bühne, bedanken sich und stellen noch persönliche
Fragen. Dann zieht Erna de Vries ihre Blazerjacke aus und zeigt, was
sie täglich an das Todeslager Auschwitz-Birkenau erinnert: Auf dem
Unterarm ist die Häftlingsnummer 50462 für immer eingebrannt.
Am Ausgang wird für ein Projekt in Israel gesammelt, für das sich Erna de Vries einsetzt. Es kommen 850 Euro zusammen. Mit dem Geld werden Bäume gepflanzt, und die Wasserversorgung in dem Land wird verbessert.
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